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Eine herrschaftliche Schäferei

Einige Jahrhunderte lang gab es in Wagenfurth eine landgräfliche, oder wie es auch heißt, eine herrschaftliche Schäferei. Von dieser lesen wir erstmals im Salbuch des Amtes Melsungen, das im Jahre 1575 geschrieben wurde. Damals war ein Schafmeister hier angestellt. Allein dieser hatte das Recht, in den Gemarkungen von Lobenhausen, Wagenfurth und Grebenau Schafe zu halten. Im Jahre 1575 muss die Anlage schon länger bestanden haben, denn nach der Beschreibung im Salbuch befanden sich die Bauten zu dem Zeitpunkt schon „im Verfall“. Nach dem Jahre 1600 wurde die landgräfliche Schäferei mit allen Rechten von der Familie Winrich (später: Weinreich) für 120 Taler in Erbleihe übernommen. Die Weinreichs und deren Erben waren verpflichtet, die Gebäude auf eigene Kosten zu unterhalten, außerdem „zinsten“ sie jährlich dem Landgrafen einen Geldbetrag, dessen Höhe sich im Laufe der Jahre mehrmals geändert hat. Die Zahl der Schafe blieb  über die Jahrzehnte wenig verändert. In 1623 hielt man 240 Tiere.

Das Verbot, Schafe zu halten, traf die Bauern in Lobenhausen, Wagenfurth und Grebenau hart. Es war ihnen nicht nur die Möglichkeit genommen, kostengünstig Lammfleisch und Wolle zu erzeugen, fast ebenso wichtig war das Pferchen. Weil Kühe und Schweine so oft es möglich war auf die Hute getrieben wurden, fehlte der Stallmist. Den sogenannten Kunstdünger gab es zu der Zeit noch nicht. Wenn die Schafe nachts in einem Pferch auf einem Feld lagerten, hinterließen sie einen wertvollen Dünger, der den Ernteertrag enorm steigerte. Wer selbst keine Schafe hatte, musste gegen Entgeld seine Felder bepferchen lassen.

In der Erbfolge war die Schäferei an die Familie Emmeluth gefallen. Im Jahre 1840 erklärte sich die Witwe des Cyriakus Emmeluth bereit, auch anderen Wagenfurther Bauern das Halten von Schafen zu gestatten. Die Übereinkunft wurde vertraglich geregelt. Auch wenn uns der Text heute etwas ungewohnt erscheint, möchte ich einige Paragraphen aus dem Vertrag wörtlich übernehmen:

„Ich, die Erblehnschäfereibeständerin Witwe Anna Christine Emmeluth, infolge meines Erblehnbriefes  alleinige Berechtigte zum Schafhalten und zur Benutzung der Schafhute in den Gemarkungen von Wagenfurth, Grebenau und Lobenhausen, erkläre hiermit, dass ich nachlassen will, dass die zum Schafhalten nicht berechtigten hiesigen Ackerleute, zur besseren Düngung ihrer Ländereien vom Jahre 1841 an, nach allen halbigen Bedürfnis, Schafe halten und solche mit meinen Schafen in einem Haufen zur Weide treiben dürfen, auch nach Verhältnis der Stückzahl die darauf fallenden Pferchnächte haben sollen, und zwar:

1.) der Bürgermeister George Weinrich                     30 Stück

2.) Henrich Emmeluth                                            25 Stück

3.) Valentin Griesel                                               25 Stück

4.) Hans Curth Werner                                           15 Stück

5.) George Schmidt                                                15 Stück

6.) Conrad Hartung                                                15 Stück

7.) Werner Diels Witwe                                          15 Stück

zusammen                                                           140 Stück

oder sieben Steige Schafe.

Behalte ich, die genannte Erblehnschäfereibeständerin, mir ausdrücklich vor, dass keiner der genannten sieben Ackerleute mehr Schafe als die angegebene Stückzahl, ich dagegen so viel Stück, als mir beliebt und die Hute ernähren kann, wiewohl ich vorläufig nur mit 4 Steigen zu schäfern beabsichtige, halten darf.“ So weit der Originaltext.

Die Witwe Emmeluth behielt sich weiterhin vor, dass sie, wie es heißt, die ihr zukommende Pferchnächte vorzugsweise bestimmen darf. Sie stellt den Schäfer ein und setzt dessen Lohn fest. Die Vertragspartner verpflichten sich, sich anteilig an den Kosten für den Schäfer, für die Anschaffung und Unterhaltung der Schäferhütte und dem Bette zu beteiligen. Außerdem müssen die genannten Vetragspartner für jede Steige (20 Stück) Schafe jährlich zu Michaelis zwei Taler bezahlen. Die Erblehnschäfereibeständerin erklärt ihrerseits, dass sie die auf der Erblehnschäferei liegenden Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Staat allein übernehmen will. Zu ähnlichen Vereinbarungen kam es auch mit den Bauern aus Lobenhausen und Grebenau.

Diese Übereinkunft hatte etwa 30 Jahre lang bestand. Wie an anderer Stelle dieser Festschrift berichtet, kam es nach der Übernahme Kurhessens in das Königreich Preußen zu einer Flurbereinigung oder wie man in unserer Gegend sagte, zur Verkoppelung. Im Zuge dieser Verfahren wurde auch die herrschaftliche Schäferei aufgelöst. Unter dem Vorsitz der „Königlichen Generalkommission“, die ja die Flurbereinigung durchführte, schloss der Gutbesitzer Hellwig Emmeluth mit den betroffenen Gemeinden in den Jahren 1871/72 Ablösungsvertrag ab. Emmeluth erhielt eine finanzielle Abfindung für den Verlust der Rechte, die die Familie vor mehr als zwei Jahrhunderten durch den Kauf des Erbleihbriefes erworben hatte.

Stand: 14.06.03 18:47, (c) www.koerle.net 

 

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