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Haspel, Reff und Schwingestock

Wer noch niemals von der Leinenherstellung gehört hat, dem kommen diese drei Wörter gewiss sehr fremd vor. Wir finden die Gegenstände, die sich unter diesem Namen verbergen, im Inventarverzeichnis eines Wagenfurther Bauernhofes, das an anderer Stelle dieser Festschrift abgedruckt wurde. Deshalb möchte ich kurz erklären, in welchem Zusammenhang man diese Geräte benutzte.

Leinen wurde aus Flachsfaser gewonnen. Es braucht viele Arbeitsgänge, um aus der blau blühenden Flachspflanze das blütenweiße Leintuch herzustellen. Doch konnten alle diese Arbeiten ohne große Investitionen im Dorf durchgeführt werden. Zur Erntezeit wird der Flachs aus dem Boden gezogen und zum Trocknen auf die Erde gelegt. Danach wird er in die Scheune transportiert. Ein Reff, auch Flachsriffel genannt, benötigt man um die Samenkapseln von den Stängeln zu trennen. Solch ein Reff könnte man mit einem großen eisernen Kamm vergleichen, der auf einem Holzgestell befestigt ist. Leinsamen ist ein wertvolles Nebenprodukt. Die „ausgedroschenen“ Stängel kommen in die Flachsröste; d.h. sie werden in Wasser gelegt, damit sich in einer Art Fäulnisprozess die Fasern von den Stängel lösen. Die Wagenfurther Flachsbauer legten zum „Rösten“ die mit Brettern und Steinen beschwerten Flachsbündel in die Fulda. Die nun folgenden Arbeitsgänge wurden im Laufe des Winters in der Scheune durchgeführt. Der wieder getrocknete Flachs muss auf einer Flachsbreche bearbeitet werden, damit er ganz geschmeidig wird und holzigen Teile sich leicht ablösen lassen. Mit Hilfe eines Schwingestockes werden die Schäben (so nennt man die holzigen Teile) von der Faser entfernt. Die letzten Schäben verliert die Faser beim Hecheln. Eine Hechel ist ein Brett auf dem nadelspitze Eisenstifte kreisförmig angeordnet sind. Durch diese Stifte werden die fastern mehrmals gezogen, damit sie sich glätten und alle in eine Richtung laufen. Es bedarf noch einiger Feinarbeiten, dann kann man die Fasern zu Garn spinnen.

Vier Spinnräder gab es auf dem erwähnten Bauernhof, was darauf schließen lässt, dass alle auf dem Hof lebenden erwachsenen weiblichen Personen ein Spinnrad betätigen mussten. Das geschah allerdings in der Regel nur abends, nachdem die andere Arbeit wieder getan war. Ob das „Spinnen am Abend“ wirklich so „erfrischend und labend“ war, wie uns das Sprichwort sagt? Auch wenn die Beleuchtungen an den langen Winterabenden in den Bauernstuben sehr spärlich war, musste streng darauf geachtet werden, dass der Faden gleichmäßig und fein gesponnen wurde.

Von der Spule des Spinnrades wurde das Garn auf eine Haspel gespannt. Alle Haspeln hatten eine genormte Größe. Fünfzehn Umdrehungen ergaben einen Garnstrang. Diese Garnstärke waren das Ausgangsprodukt für den Weber. Auf den größeren Bauernhöfen standen für gewöhnlich keine Webstühle. Das Weben überließ man den Kleinbauern und den hauptberuflichen Webern.

In einem „Verzeichnis der Gemeindeglieder“ aus dem Jahre 1837 findet man folgende Einwohner, die als Beruf Leineweber angeben: Johannes Hüner, Justus Freudenstein, Georg Hüner, Christoph Ebert, Heinrich Leuchter, Georg Leuchter, Heinrich Dieling, Christoph Erbeck. Von diesen acht Leinewebern waren sechs Hauseigentümer, sie besaßen auch eine kleiner Fläche Land. Zu der Zeit gab es in Wagenfurth 16 Wohngebäude und etwa 120 Einwohner. Rechnet man nur fünf Personen auf eine Leineweberfamilie, dann lebte ein Drittel der damaligen Ortsbewohner vom Leinen weben. Zusätzlich war ein Großteil der weiblichen Einwohnerschaft mit der Garnherstellung beschäftigt (Flachsaufbereitung und Garn spinnen). Demnach bestritt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu die Hälfte aller Dorfbewohner den Lebensunterhalt zu einem großen Teil mit dem Einkommen aus dem Flachsanbau und der Leinenherstellung,

Stand: 15.06.03 12:21, (c) www.koerle.net 

 

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