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Die Kirche von Wagenfurth

Allgemeines

Zwischen den Fachwerkhäusern, selbst wie ein Haus wirkend und nur durch einen Dachreiter ausgezeichnet, steht das Kirchlein unauffällig und jetzt freistehend inmitten des Dorfes. Sie ist klein und anheimelnd anzusehen. Neben Rüchenbach (Kreis Biedenkopf) ist sie die älteste erhaltene Dorf Kirche in Hessen. Um 1480 soll diese als einmalig anzusehende Kapelle im spätgotischen Stil, also im ausgehenden Mittelalter, erbaut worden sein.  

Das Kircheninnere

Der untere Raum wirkt  - was man von außen nicht vermutet- wie ein größeres Zimmer. Er bietet etwa 24 Personen Platz. Neben Orgel und Stühlen gehört ein kleiner Altar zum Inventar. Auf dem Altar steht ein schlichtes, dunkles und beachtenswertes Holzkreuz, dessen Querholz leicht gebogen und zu beiden Seiten abfällt. Dieses künstlerische einfache Stück fertigte der Schreiner Johannes Reinbold (Wagenfurth) nach den Vorstellungen von Pfarrer Hermann Steckert. Der Raum ist ca. 3,80 m hoch, ca. 7,20 m  lang und ca. 3,80 m breit. Die Decke hat noch die originalen tragenden Balken und darüber sind besäumte (d.h. nur besägte) Bretter in einer hellgrauen Farbe – eigentümlich wirkend – befestigt, die den gleichen Farbton haben wie das gesamte Fachwerk im Inneren der Kirche. Zwischen dem Fachwerk war bei einzelnen Gefachen leider der Putz herausgefallen bzw. beschädigt, so dass dieser neu gestaltet werden musste. Dabei konnte die echte, hübsche und barocke Rankenmalerei (um 1700) – was sehr bedauerlich ist – nicht mehr erhalten werden, und so hat man die Gefache einfach weiß streichen müssen. Der Raum soll insgesamt so ausgesehen haben wie die Verzierung, die jetzt noch auf dem Fachwerk zu sehen ist. (Der Kunstmaler Georg Landgrebe, Kassel, hat bei der Renovierung noch einige Gefache künstlerisch Nachvollzogen, doch auch diese waren nicht mehr zu retten.)  

Will man in das Obergeschoss gelangen, so muss eine Luke geöffnet und eine Leiter herausgezogen werden. Steigt man hinauf in den ungenutzten Raum, so kann man das Glöckchen sehen und die Art, wie es geläutet wird, ebenso ist dann auch der architektonische Aufbau des Türmchens in seiner damaligen Konstruktion erkennbar.     

Die Glocke

der Wagenfurther Kapelle trägt folgende Inschrift: „ CONVOCA OMNUS C. ULRICH VON HERSFELT GOS MICH AO 1742 WAGENFURTH! “ Wann und wie lange die Glocke geläutet wurde ist nicht bekannt. Fest steht, dass der Landwirt Heinrich Dieling – so hat er es Herrn Lehrer Haarberg mitgeteilt – jeden Abend die Glocke geläutet hat, obwohl es einiger Gewandtheit bedurfte, um an die Glocke zu kommen. Der amtliche Glockenrevisor beanstandet im Juli 1962, dass die Glockenanlage einer dringenden Erneuerung bedarf. Eine genaue Überprüfung konnte er mangels Zugangsmöglichkeit zur Glocke nicht erfolgen. Er konnte nur feststellen, dass die Glocke an einem verbrauchten Holzjoch hangt, dazu völlig unzureichend gelagert ist, zudem noch lose am Joch hängt und dadurch die Absturzgefahr besteht. Auch stellte er fest, dass zweckmäßiger Weise die Glocke um 90° gewendet wird. Im November 1963 forderte der Glockenrevisor, dass die Absturzgefahr akut sei und dringend etwas unternommen werden müsse. Das solle doch, wenn schon die Kapelle renoviert, auch für die Glocke etwas getan werden.  

Im Jahre 1966 wurden die Beanstandungen beseitigt und die Glockenanlage instand gesetzt mit der Läutmaschine. Der Glockenrevisor bemängelte nur noch die Schaltstelle im Dachgeschoss und forderte, weil die Anlage schutzlos der Witterung ausgesetzt ist, den Mangel zu beseitigen und die Schallfenster einzubauen. 1967 konnte Pfarrer Hermann Steckert dem Landeskirchenamt mitteilen, dass die vorgeschlagenen Schallfenster eingebaut und eine Leiter, die jetzt zum Turm hinaufführt, jetzt vorhanden sei. Die Wagenfurther können auf ihre Glocke stolz sein, denn sie ist die zweitälteste im Kirchspiel Körle ! (Nur Lobenhausen hat eine ältere Glocke!)

Musikalische Begleitung im Gottesdienst

Ob es vor 1863 – Kirche auf Abbruch verkauft – ein Interment in der Kirche gab, ist(leider) nicht überliefert. Man muss wissen. dass früher in der Schule, im Konfirmationsunterricht eine große Zahl an Gesangsbuchliedern gelernt werden mussten, hinzu kam der häufige Gottesdienstbesuch, wo die Lieder immer wieder gesungen und somit das Liedgut eingeprägt wurde.

Erst zur Einweihung der Wagenfurther Kirche im Jahre 1964 stiftete der Textilgroßhändler Albert Döring aus Kassel ein Harmonium. Pfarrer Steckert hatte ihn gebeten an dieser Feier auch teilzunehmen. Bescheiden antwortete er: „Danke für die Einladung... Bitte haben Sie Verständnis, dass  von den 22 Sitzplätzen kein einziger von uns beansprucht wird. Wenn wir diese Dinge als Zaungäste erleben dürfen, dann sind wir schon glücklich...“ Es wäre zu wünschen, wenn es mehr solcher Stifter gäbe! „Wagenfurth hat sicherlich eine der schönsten Kapellen im Hessenland. Einzig das alte Harmonium im Innenraum hat lange genug seine Dienste getan. Eine kleine Orgel, genannt Positiv, soll in Zukunft diesen Platz einnehmen und eine gute musikalische Begleitung ermöglichen. ...“ Das schrieb Pfarrer Reinhard Heubner 1984 an die Gemeindeglieder. Und er schaffte es 1986, Wagenfurth bekam das Orgelpositiv. Die Anschaffung und die Nebenkosten betrugen 17.045,- DM. Besucht man heute den Gottesdienst, so erfreut man sich an der Musik und an der Atmosphäre, die hier gegeben ist!

Alter der Kirche

Entgegen den Aussagen in einigen Veröffentlichungen, die gotische Fachwerkkapelle sei erstmals in einer Urkunde des Klosters Karthause aus dem Jahre 1341 erwähnt worden, musste ich feststellen, dass die Fachwerkkirche erst um das Jahr 1480 entstanden sein kann. Diese Auskunft erteilte mir der Verfasser des Buches: „Fachwerkkirchen in Hessen, 3. Auflage, Königstein/Ts. 1983“ fand ich diese auf Seite 81.  

Kirche 1341

Die Kirche in Wagenfurth wird in der Festschrift „900 Jahre Körle“ mit der Jahreszahl 1341 erwähnt. Auch in dem Bericht über das Kirchspiel Körle 1982 steht: „Die gotische Fachwerkkapelle wurde erstmals im Urkundenarchiv Karthause erwähnt.“ Das ist nicht richtig, denn die Fachwerkkirche entstand erst um 1480. Diese Auskunft erteilte mir der Verfasser des Buches: Vaupel, Wilhelm: Fachwerkhäuser. Kassel 1973“ mündlich mit und in der Monographie: „Fachwerkkirchen in Hessen. 3. Aufl., Königstein/Ts 1983“ fand ich diese Jahreszahl auf S. 81.  

Geschichte zur Kapelle

Wagenfurth hat den Spitznamen – besser: Kosenamen: „Die Schmalzgrube.“ Schmalz gleich Fett und Fett bedeutete damals Reichtum. Und weil die „reichen“ Bauern ihren Zehnten (hier: Steuer in Naturalien; s. Zehnten) abführen mussten, planten und bauten sie in ungewöhnlicher Konstruktion diesen zweigeschossigen Bau. Er ist einer der wenigen Beispiele der Baukombination Kirche und Speicher und dazu noch einer der frühesten.  

1559 hält der Pfarrer von Grebenau Gottesdienst in Wagenfurth. Es ist der Pfarrer Bartholomäus Schade alias Merre, ein ehemaliger Barfüßermönch aus Fritzlar, der von 1536 – 1577 in Grebenau seinen Dienst versah. Der Landgraf von Hessen wird als Patron (Stifter und Schutzherr) dieser Kirche genannt.

1636 berichtet der Pfarrer Jacob Hofmeister, dass kein Mann weiß, wann die Kirche erbaut und geweiht worden ist und welchen Namen sie trug.

1660 Die Kapelle ist stark beschädigt. Um die Schäden des 30 jährigen Krieges (1618 – 1648) zu beseitigen, ist eine Wiederherstellung geplant.

**1700 wird sie eine kleine, schlechte Kirche genannt.

1794 sind keine Stühle mehr da, nur noch Bretter „worauf die Inwohner, wenn Kirche ist, setzen.

1862 Am 25. Mai wird die letzte Trauung in der Kapelle vorgenommen. Heinrich Werner Freudenstein ehelichte Catharina Elisabeth Griesel.

1863 befindet sich die kleine Kapelle in einem traurigen Zustand, so dass sie von der damaligen Kirchenbehörde auf Abbruch verkauft wird.* Bis zu diesem Zeitpunkt wurde fünfmal im Jahr Gottesdienst gehalten und danach nicht mehr. Gott sei Dank, es kam nicht zum Abbruch, weil der damalige Pfarrer dagegen war.

1875 erhielt die bürgerliche Gemeinde die Kirche übereignet. Das Kirchlein geriet nun fast in Vergessenheit – nein es wurde Hühnerstall, Rumpelkammer und Spritzenhau.

**1700 Um diese Zeit bekommen die Innenwände den barocken Verputz mit den hübschen Rankenmalereien. *[s. Anlage nebst Transkription (lautgerechte Übertragung in eine andere Schrift.)]

1910 hat die Kapelle an der rechten Südseite ein Scheunentor (zwei Gefache groß) mit einem kleinen Vordach. Wann die Kirche so hergerichtet worden ist, kann nicht mehr festgestellt werden.

1950 Am 5.1. veröffentlichte Herr Rudolf Haarberg, Lehrer von Grebenau, einen Artikel zur Wagenfurther Kirche  mit dem Titel: „Wagenfurths Kapelle ist heute Spritzenhaus.“

Auszug: „ Wer durch das kleine Dörfchen ... wandert, wird zunächst seine Freude haben beim Anblick der alten Höfe, die nach alter Väter Sitte mit Sprüchen und Schnitzereien verziert sind. Inmitten des Dorfes aber wird der Blick unwillkürlich von einem alten gotischen Portal angezogen, das da in einem Winkel zwischen zwei Häusern unvermutet zu Tage tritt (Ein Haus war die Scheune des Landwirts Heinrich Dieling). Man bleibt stehen und gewahrt ein altertümliches Gebäude mit eigenartigem Fachwerk und einem kleinen Türmchen auf dem Dache ...“ Dieser vorgenannte Artikel blieb nicht folgenlos, denn von nunan kümmerte sich die Denkmalpflege um dieses Gebäude. Wahrscheinlich war der Schlusssatz bedeutungsvoll, in dem es hieß: „ ... diese eigenartige, kleine Fachwerkkirche nicht eines Tages einfach verschwindet und unsere Heimat um ein interessantes Bauwerk ärmer sein wird.“

1950 Besuch des Propstes Geß aus Eschwege in Grebenau bei Herrn Pfarrer Steckert am 2.11. Hier wurde die Idee geboren, die Kirche instand zusetzen.

1952 am 16.10. soll die Kirche auf den Friedhof versetzt werden. Das Landeskirchenamt (Dr. Paul Blesse) schreibt: „Wir haben an der Kirche nur dann ein Interesse, wenn sie auf den Friedhof versetzt wird. Das Gebäude ist ohne Wert für kirchliche Zwecke. Der Ladenskonservator ist dagegen und ist dafür nicht zu erwärmen.

1953 Der Zeitungsartikel von Dr. Dieter Großmann: „Rettet die Kapelle in Wagenfurth.“ (21.11.) Der Bericht muss beim Landeskonservator und bei der Landeskirche große Beachtung gefunden haben!

1953 Der Landeskonservator möchte, dass die Kirche im Dorf bleibt. (1.12.)

1954 Die bürgerliche – sprich: politische – Gemeinde will gegen die Versetzung auf den Friedhof keine Einwendungen erheben.

1956 (also 2 Jahre später) Am 20.09. will man die kleine Kirche als Friedhofskapelle nutzen.

Hoffnung? Zufall? Eine Fügung Gottes? Bleibt die Kirche im Dorf?

Weil die Kirche in dem „Loch“ stand, wollte die Landeskirche die Kapelle versetzen.!

1957 Eine erfreuliche Mitteilung: Der Landwirt Heinrich Dieling wird ausgesiedelt. Die Scheune kann gekauft und abgerissen werden.

1957 Heinrich Kasselbach aus Kassel (Elektro- und Maschinenbau) schreibt am 22.8.: „Im Innern ist aber auch nichts, was an ein Gotteshaus erinnern könnte, nur der Glockenturm.“

1957 Am 28.9. schreibt Bürgermeister Heinrich Griesel an das Landeskirchenamt: „Die politische Gemeinde Wagenfurth ist bereit, die Kapelle der Kirchengemeinde zu übertragen und nach Ausbau der Kapelle für die Zukunft die bauliche Unterhaltung zu übernehmen.“

1957 Pfarrer Steckert erhält vom Katasteramt folgende Auskunft: Stichwort: Spritzenhaus. Grundbuch Bd 4 Blatt 101. Grundbuch Flur 2, Flurstück 21. Bezeichnung: Dorfhaus Nr. 13 1/2 , Größe 92 m².

1958 Vertragsbeurkundung Kirche von pol. Gemeinde. übereignet.

1959 Pfarrer Steckert hört in Wagenfurth von einem Renovierungsgegner: „Wenn die Kirche so wertvoll ist, warum wird sie nicht in Kassel im Museum aufgestellt.“

1960 Es gibt keine Fachleute, die die Balken bebeilen können. Das sprachen einige Handwerksmeister.

1961 Grundstücksverkauf von Heinrich Dieling an die Ev. Kirchengemeinde. Gebühren 115,45 DM, Vermessungskosten 242,- DM und Übereignungskosten 4.450,- DM.

1962 Abbruch der Scheune. Kosten 2.520,- DM

1964 Am 11.10. soll nunmehr unsere kleine gotische Kapelle geweiht werden. Damit ist ihrem 101 jährigen Schattendasein ein Ende gesetzt.

1965Die tatsächlichen Kosten der Instandsetzung und Renovierung betragen 27.238,- DM. Pfarrer Steckert erinnert sich: „Ohn Gottes Gunst, all’ Bau’n umsunst.“

1976/77 musste die Kirche wieder renoviert werden. Schwester Helga Mantels, zugleich Pfarrerin in Grebenau, schrieb damals: „Lockerge-wordene Gefache, durch die Kälte, Hitze und Fliegen eindringen können und die Arbeit im Kirchraum beeinträchtigen, müssen dringend abgedichtet werden.“

Schlussrechung 7.213,44 DM

1980 Die Kapelle zu Wagenforth wird durch eine Plakataktion weit über die Grenzen der Landeskirche bekannt gemacht.

1984 ist ein Leichtmetallschaukasten angeschafft und aufgestellt worden. Er dient der geschichtlichen Darstellung der Kirche und soll für Mitteilungen genutzt werden.

1987 erfolgt die Erneuerung der Treppenanlage.

1996 muss wieder renoviert werden. In diesem Jahr begann auch die Planung.

1997 beginnen die handwerklichen Arbeiten. Der Turm erhält eine neue Wetterfahne (Turmzier).

1998 konnte die Kapelle fertiggestellt werden, so dass sie am 13.9. geweiht werden konnte.

Die Kosten von ca. 325.000,- DM betragen das  X-fache von 1964.

Es bleibt zu hoffen, dass die Kapelle häufig besucht wird und die Wagenfurtherinnen und Wagenfurther dafür sorgen, dass dieses Gotteshaus, dieses besondere Denkmal der Nachwelt, ein frühes Zeugnis handwerklicher Baukunst, erhalten bleibt!

 

                        Der Herr schütze dieses Haus und

                        alle, die da gehen ein und aus.

                                                                                                (Hausinschrift)

 

Worterklärungen:

aufgeblattete Kopfbänder = dienen der Verstrebung des Gebäudes und der Statistik

Brustriegel = Balken, die in Fensterhöhe verlaufen

Dachreiter = Türmchen, meist für Glocke und Uhr bestimmt, das, ohne sichtbaren Unterbau, auf dem Dach aufzusitzen scheint. Dem Spätmittelalter eigentümlich.

konvergierende Bogenstrebe = sich nähernde, einander näherkommende, zusammenlaufende, sich zuneigende gebogene Streben.

Paß = Das Wort Paß ist gleichbedeutend mit Zirkel. Die aus Dreiviertel-kreisen zusammengefügte Maßwerkfigur wird daher Paß genannt. Nach Anzahl der Kreisstücke unterscheidet man den Dreipaß, die dem im Mittelpunkt der Kreisteile die Spitzen eines gleichseitigen Dreiecks gebildet werden (Das Dreieck ist die Grundlage aller Statik!).

Satteldach = bestehend aus zwei schrägen, gegeneinander geneigten im Frist zusammenstoßenden Dachflächen, die an ihren Enden durch Giebel begrenzt sind.

vorkragend = Herausragende Überbauung von Fachwerkgeschossen. Gibt dem Bau ein gefälligeres Aussehen.

Literaturhinweis:

Fachwerkkirchen in Hessen. Königstein/Ts. 1976.

Backes: Kunstwanderungen in Hessen. 1962.

Dehio: Hessen. 1966.

Hessische Nachrichten. Ederbote. Kassel 12.11.1953 darin: Großmann, D.: Rettet die Kapelle von Wagenfurth.

Historisches Ortslexikon für Kurhessen. Bearbeitet von Heinrich Reimer. Marburg 1926.

Hessische Allgemeine (Heimat Echo) vom 20.03.1964 (Glocke in Wagenfurth schweigt.).

Stand: 22.06.03 13:57, (c) www.koerle.net 

 

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